„England ist der Feind Kontinentaleuropas“
In einem kurzen Referat vor einer coronabedingt kleinen Gruppe der Österreichisch-Britischen Gesellschaft, dem eine Diskussion folgte, zog Peter Bichler, Inhaber des „House of Scotland“ diesen kontroversiellen Schluss in der Beziehung Englands (im Gegensatz zu Schottland) zu Europa.
Einleitung.
Otto von Habsburg: „Für mich ist schrittweise immer klarer geworden, dass vor allem England uns fallen ließ. Winston Churchill stand immer auf unserer Seite, aber andere waren dafür, dass Österreich verschwindet. Churchill war ein genialer Mensch gewesen. Als Schriftsteller. Ich habe immer die Nobelpreiskommission dafür bewundert, dass sie Churchill nicht den Friedenspreis, sondern den Literaturpreis (1953; Anm.) gaben. Denn er hatte ja eine wunderbare Sprache. Churchill war außerdem ein guter Freund für Österreich. Nur war er immer umgeben mit Leuten, die absolut auf der Gegenseite waren. Der größte Schuldige in dieser Hinsicht war Anthony Eden“ (britischer Außenminister 1935–1938, 1940–1945, 1951–1955, Premier 1955–57; Anm.).
England, ein Gefangener der eigenen Geschichte.
In etlichen Blogs und Aufsätzen habe ich in der Vergangenheit versucht, einige der merkwürdigen Eigenheiten der britischen Politik zu beleuchten, die so seltsam im Widerspruch zu Europa stehen, und deren Politiker, die die Haltung der Nation gegenüber Europa, dem Brexit und zuletzt der Covid-19-Krise beeinflussen.
In „Bung a Bob für Big Ben Bong“ fragte ich: „Was macht diese Gesellschaft so anfällig für Gewalt, so hasserfüllt, so schrecklich fremdenfeindlich und so gespalten? Ist es das politische System?" Wir erinnern uns, dass der britische Premierminister Boris Johnson begeistert war, um 23 Uhr Greenwich Meantime (unsere mitteleuropäische Zeit um 12 Uhr mitternachts) „Big Ben Bonging“ also die Glocken läuten zu lassen, um damit den Austritt Britannias aus der Europäischen Union am 31. Jänner 2020 zu feiern, die (die EU) Anne Widdecombe, ehemalige Tory-Abgeordnete und MdEP für die Brexit-Partei, in einem beispiellosen hasserfüllten Gekreische, mit Sklavenmeistern verglich. „Und es spielt keine Rolle, welche Sprache Sie verwenden - wir gehen und wir sind froh, gehen zu können. Nous Allons. Wir gehen. Wir sind weg! " geiferte sie.
In "BREXIT und die Iren" überlegte ich, wie Großbritannien den Frieden zu verlieren droht und wie ein großes Land in seiner Geschichte gefangen ist. Ein Land, dessen moralisches Rückgrat die unerschütterliche Verteidigung des Reiches gegen die unheimliche Gefahr papistischer Subversion und Machination war, ein Begriff, der das soziale Gefüge seit der von Heinrich VIII. ausgelösten englischen Reformation durchdringt, das bis heute darin gefangen zu sein scheint. Oliver Cromwell, der selbsternannte puritanische Moses, der in einer BBC-Umfrage von 2002 als einer der zehn größten Briten aller Zeiten ausgewählt wurde, besetzte Irland, verabschiedete eine Reihe von Strafgesetzen gegen Katholiken (immer noch eine bedeutende Minderheit in England und Schottland, aber die überwiegende Mehrheit in Irland) und beschlagnahmte einen erheblichen Teil ihres Landes.
Wir nähern uns allmählich einem anderen kontroversen, aber ernsten Thema, das ich in „The Docile Kingdom“ angesprochen habe und gefragt habe, was das Konzept der sozialen Klasse und das britische Wahlsystem mit der gegenwärtigen Covid-19-Krise in Großbritannien zu tun hat. Wie sich herausstellt, sehr viel. Dass die Nation fügsam gemacht wurde, kann nicht länger übersehen werden und dass das britische System eine Art plebiszitäre Demokratie ist, die dem Amtsträger nahezu absolute Macht verleiht, ist ein sehr besorgniserregendes Konzept.
In einem anderen Aufsatz „Die Vergangenheit ist ein fremdes Land: Sie machen die Dinge dort anders“ verbrachte ich viel Zeit damit, meine persönlichen Erfahrungen zu beschreiben, indem ich versuchte, die Fakten zusammenzufassen, wie sie sich in meinen 40 Jahren (1969-2009) in Großbritannien ereignet haben, dessen Auswirkungen ich im Nachhinein als weitreichend ansehe. Darin kam ich zu dem Schluss, dass die Antwort auf die Frage, die ich gleich zu Beginn dieses Aufsatzes gestellt habe, in der fernen Vergangenheit liegt und meiner Meinung nach die meisten Regierungen seit dem Krieg über das Volk zu herrschen schienen, oft gegen das Volk, wobei lange Zeit Prioritäten in der Verfolgung des Weltmacht-Anspruchs über die vielen sozialen Probleme und Krankheiten zu Hause hinweg gesetzt wurden, die ungelöst blieben. Wenn es intern schief läuft, wird ein externer Feind benötigt, und folglich war der Feind Europa und die europäischen Einwanderer! Das ständige, unaufhörliche Sperrfeuer anti-europäischer und fremdenfeindlicher Propaganda, die von den schweren Geschützen der Murdoch Press und Sky TV geliefert wurde, und die kriegerische Sprache und der Jingoismus der Politiker und Medien begannen die Bevölkerung gleichermaßen zu beeinflussen. Hass ersetzte Vernunft. In der Zwischenzeit hat Covid-19 in Großbritannien weit über 42.000 Menschen getötet, hauptsächlich aufgrund der bedauerlichen Unfähigkeit eines Boris Johnson und seiner Regierung, aber es gibt immer noch Leute, die glauben, dass Boris einen „guten Job“ macht. Die Menschen gewöhnten sich daran, dass schlechte Nachrichten als „weltbeste“ gute Nachrichten übermittelt wurden. Man kann mit Sicherheit sagen, dass Großbritannien fügsam gemacht wurde. Jetzt wollen sie nur noch „alles erledigen!“, („Get done“). Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, wie unser Präsident Prof. Dr. Kurt Tiroch so trefflich sagte.
Britisch zu sein bedeutete für Amerika und gegen Europa zu sein.
Aber britisch zu sein bedeutet auch protestantisch zu sein, und protestantisch zu sein bedeutet auch, antikatholisch zu sein.
Aus einer Dissertation der deutschen Historikerin Dr. Frauke Geyken zitiere ich: „Gentlemen auf Reisen“, „Gentlemen Travelling“ Wie die Briten Deutschland im 18. Jahrhundert sahen, Campus Verlag, Frankfurt / New York 2002. Geboren 1963 schrieb sie ihre Dissertation im Jahr 2000 an der Universität Göttingen wo sie auch promovierte.
Meine Zitate aus diesem Buch beginnen ab Seite 296:
Auch Hermann Wellenreuther sieht die Zäsur bereits am Ende des Siebenjährigen Krieges, an dem „a new understanding of Britishness“ festzustellen sei.
Betrachtet man die Hannoverdebatte der 1740er Jahre, so fällt auf, wie stark das britische Argument in den Pamphleten ist. Diese publizistische Auseinendersetzung war ein Katalysator für die Entwicklung von Britishness, weil in dem konzentrierten Zeitraum weniger Jahre die Abkehr von Europa als ernstzunehmende Alternative der britischen Außenpolitik etabliert wurde. (296) Autoren vertraten die Ansicht, was auch immer aus Europa werden möge, „...if we behave like Britons, we shall, in all Human Probability, hold the Ballance [sic!] of Power in America“. („... wenn wir uns wie Briten verhalten, werden wir nach aller menschlichen Wahrscheinlichkeit die Ballance der Macht in Amerika halten".) Britisch sein bedeutete, für Amerika zu sein und gegen Europa.
Aber Britishness hatte nicht nur diese anti-europäische Komponente. „Brave Britons, who fought and conquered their gallic foes“ („Tapfere Briten, die gegen ihre gallischen Feinde kämpften und siegten"), wurden nicht nur dafür geehrt, dass sie die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung Britanniens verteidigt hatten, sondern auch dafür, dass sie sich als Verteidiger des rechten Glaubens Frankreich, dem Feind des Protestantismus, entgegengeworfen hatten. Denn Britisch zu sein, bedeutet auch protestantisch zu sein, und protestantisch zu sein, bedeutet auch einmal anti-katholisch zu sein. Selbst wenn der Antikatholizismus innerhalb von England und Schottland sehr unterschiedliche Formen annehmen könnte, so waren doch der englische dissenter und der schottische Presbyterian im Ausland erst mal Protestanten, die nicht nur in Frankreich, sondern auch im katholischen Westfalen oder im papistischen Italien als Briten dem popish superstition (papistischen Aberglauben) gegenüberstanden.
Religion und Freiheit, Freiheit und Handel.
Natürlich war zuallererst Frankreich der Anatagonist, an dem sich englisches bzw. britisches Selbstbewusstsein entwickeln konnte. Aber die politischen und wirtschaftlichen, die religiösen und kulturellen Reibungsflächen gab es auch in Begegnungen mit anderen Ländern. Die Bestimmung der Koordinaten eines Vereinigten Königreiches von Engländern, Schotten, Walisern und Iren war damit nicht notwendigerweise auf die Abgrenzung gegen Amerikaner, Inder und Afrikaner beschränkt, wie Colleys Vorschlag es nahelegt. Jedes Aufeinandertreffen mit einem katholischen Europäer war ein Akt der Selbstvergewisserung, der im Kleinen dazu beitragen konnte, im Großen ein Bild von Großbritannien mitzuentwerfen und zu festigen. Protestantismus bedeutet auch Prosperität und wirtschaftliche Unabhängigkeit bedingte politische Freiheit: „Religion and liberty, liberty and trade“ ("Religion und Freiheit, Freiheit und Handel") waren die Elemente des positiven Gegenbildes,das sich in der Vorstellung des britischen Betrachters entwickelte, wenn er in Köln, Paderborn oder Soest auf das „Yoke of Popery, Poverty and Slavery“ („Joch des Papsttums, der Armut und der Sklaverei") traf.
Der Feind ist immer von jenseits des Kanals gekommen: aus Europa.
Es ist sicher kein Zufall, dass eine Vielzahl britischer patriotischer Filme auf den Markt gekommen sind. „Ein Land, das glaubt, stolz, größer und besser zu sein als der Rest Europas" (Tom Peck, "The Independent"), braucht eine Erinnerung an seine früheren Heldentaten im wahrgenommenen gegenwärtigen Kampf um „die Wiedererlangung unserer Unabhängigkeit und Souveränität" (Theresa May) ).
Der Feind ist immer von jenseits des Kanals gekommen: aus Europa. Die Franzosen, die Spanier, die Deutschen und jetzt für einige: die Europäische Union.
England, dieser stets hartnäckige Bulldogge, äußerst unabhängig, stolz und allmächtiger Eroberer, wird sich selbst angesichts einer bevorstehenden Niederlage niemals ergeben! Loyal gegenüber der Krone, der Monarchie, der englischen Kirche, ein Volk, das angesichts einer Gefahr zum Schulterschluss bereit ist, um Not und Opfer auf sich zu nehmen und alles tut, um ihr „Land der Hoffnung und des Ruhms, Mutter der Freien“ zu schützen und wiederzugewinnen.
„Land of Hope and Glory, Mother of the Free, how shall we extol thee, who are born of thee? Wider still and wider shall thy bounds be set. God, who made thee mighty, make thee mightier yet!”
Eine schwulstige Hymne auf Englands „grünes und angenehmes Land“, geschrieben von Arthur Christopher Benson und vertont zur Musik von Elgars „Pomp and Circumstances March No 1“, die von einem unzählige Union Jacks winkenden fanatischen Publikum bei der jährlichen „Last Night of the Proms “ in der Royal Albert Hall in London gesungen wird.
Wolfgang Geißler
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